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Mittwoch, 1. April 2009

Weltpremiere im niederländischen Delft: Klangwerk durch ein "Orchester ohne Instrumente"


Bild: Hörsaal H 104 der TU Berlin mit einem 86 Meter langen Band an den Raumseiten, in dem 2700 Lautsprecher integriert sind.

Im Rahmen der 35. Tagung der Deutschen Akustikkonferenz (DAGA) wurde am 23. März 2009 erstmals das eigens komponierte, fulminante Klangwerk von Markus Kamps, Student des Diplomstudiengangs Ton- und Bildtechnik am Fachbereich Medien, im Hörsaal der Technischen Universität Delft vor rund 100 internationalen Soundexperten öffentlich präsentiert. Das heißt, ein vollständig aus virtuellen Instrumenten zusammengestelltes Orchester spielte in einem ebenfalls akustisch nachgebildeten Konzertsaal, dem berühmten "Concertgebouw Amsterdam", die Komposition.

Delfter Donnerschlag. Delft ist eine niederländische Universitätsstadt in der Provinz Südholland. Sie liegt im Ballungsgebiet Randstad an der Vliet zwischen Den Haag und Rotterdam. Bekannt ist Delft bereits durch ein anderes "akustisches" Ereignis, den "Delfter Donnerschlag". So wird die Explosion eines Pulverturms am 12. Oktober 1654 in der niederländischen Stadt Delft bezeichnet. Es wird berichtet, dass ihr Knall noch auf der 150 Kilometer entfernten Insel Texel zu hören war.
Um etwa Viertel nach 10 Uhr morgens flog an diesem Tag im Nordosten der Delfter Innenstadt ein Lager mit Schwarzpulver in die Luft. Historiker gehen davon aus, dass es Hunderte von Toten gab. Die genaue Zahl der Menschen, die umgekommen sind, ist jedoch nie festgestellt worden. Praktisch jedes Gebäude in der Innenstadt wies Beschädigungen auf und der Bereich östlich von Verwersdijk war vollständig dem Erdboden gleichgemacht.

Wellenfeldsynthese. Das Besondere und Neue daran: Das imposante Orchesterstück, bei dessen Einspielung kein einziges reales Instrument in die Hand genommen wurde, wird durch die "Akustische Wellenfeldsynthese" so realistisch wiedergegeben, dass sich der Zuhörer geradezu in den Concertgebouw hineinversetzt fühlt. Die Wellenfeldsynthese (WFS) ist eine neue Audio-Technologie, die bereits bei einigen Sendern Einzug gefunden hat. Mit Hilfe dieser Technologie können realistische, dreidimensionale Klangwelten geschaffen werden, die das Publikum in den Mittelpunkt des Geschehens rücken. Da die WFS erlaubt, jedes Instrument frei im Raum zu bewegen, kann der Nutzer dieses Systems die Dirigentenrolle übernehmen und seine eigene Orchesteraufstellung vornehmen, oder auch beliebig jedes Instrument einzeln abhören. Das Projekt wurde in Zusammenarbeit der WFS-Arbeitsgruppen in Delft unter Leitung von Diemer de Vries und der Fachhochschule Düsseldorf unter Betreuung von Prof. Dr. Dieter Leckschat, Professor für Tonstudiotechnik, realisiert.

Virtual Reality. Mit der akustischen Wellenfeldsynthese wird ein Schallfeld möglichst realistisch nachgebildet werden. Dafür wird jede von einer Quelle erzeugte Wellenfront als Summe von unendlich vielen Einzelquellen betrachtet. Die Einzelquellen werden durch Lautsprecher erzeugt und können an jeder Position der Hörzone realistisch wahrgenommen und innerhalb der Lautsprecheranordnung platziert werden; sie werden dadurch für den Zuhörer räumlich umgehbar.

Unter Wellenfeldsynthese (WFS) versteht man ein räumliches Audiowiedergabeverfahren mit dem Ziel, virtuelle akustische Umgebungen zu schaffen. Die Synthese erzeugt Wellenfronten, die von einem virtuellen Punkt ausgehen. Dessen akustische Ortung ist nicht von der Zuhörerposition und auch nicht, wie bei den konventionellen Mehrkanalverfahren, von psychoakustischen Effekten abhängig.

Die Synthese basiert auf dem Huygens-Prinzip, das beschreibt, dass jede Wellenfront auch als Überlagerung von Elementarwellen betrachtet werden kann. . Dieses von Christian Huygens im Jahre 1678 formulierte Prinzip besagt: "Jeder Punkt einer Wellenfront kann als Ausgangspunkt von Elementarwellen angesehen werden, die sich mit gleicher Geschwindigkeit und Wellenlänge wie die ursprüngliche Wellen ausbreiten. Die Einhüllende aller Elementarwellen stellt die neue Wellenfront dar."

Deshalb lässt sich aus solchen Elementarwellen auch jede beliebige Wellenfront synthetisieren. Um Schallwellen zu erzeugen steuert eine Computersynthese dabei jeden der einzelnen Lautsprecher – angeordnet in Reihen rings um den Zuhörer – genau in dem Moment an, zu dem eine virtuelle Wellenfront seinen Raumpunkt durchlaufen würde. Professor Berkhout erfand dieses Verfahren 1988 an der Technischen Universität Delft.

Mehr:
Wellenfeldsynthese / Binaural Room Synthesis (BRS)
Delfter Donnerschlag
Deutsche Gesellschaft für Akustik

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