Seiten

Montag, 27. Juni 2011

Aus Harry wird Heinrich

Harry Heine ist gut 27 Jahre alt, als er am 28. Juni 1825 getauft wurde. Aus Harry wird Christian Johann Heinrich Heine. Aber dem Juden Heinrich Heine nützte die Taufe nicht, so wenig als sie gut hundert Jahre später den getauften Juden das Leben zu retten vermochte. Heine: "Jetzt bin ich als Jude und als Christ verhasst."

Taufe. Als Segen für seine Kindheit und Jugend durfte der in Düsseldorf am 13.Dezember 1797 geborene Heine die Eroberung der Rheinlande durch die französische Revolutionsarmee verzeichnen. Denn mit dieser Armee wurde in den eroberten Gebieten der Code Civil eingeführt, der Juden zu gleichberechtigten Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft machte. Eigenartig ist, dass Heine als deutscher Jude den Namen Harry erhielt. Sein Vater übernahm diesen englischen Namen von einem Freund. Unter diesem Namen wird er auch vom Rabbiner in das Buch der Gemeinde eingetragen. Beide Elternteile entstammten wohlhabenden jüdischen Familien, die den Hoffaktoren angehörten. Das ist auch der Grund, warum beide bestimmte Privilegien inne hatten, wie zum Beispiel Ghettofreiheit.
1814, nach den so genannten Befreiungskriegen, büßten die preußisch gewordenen Rheinprovinzen die allgemeine Rechtsgleichheit wieder ein, die Juden wurden erneut zu Bürgern zweiter Klasse. Nach 1815 tritt jetzt erstmals eine Kritik an der Emanzipation der Juden an die Öffentlichkeit und wird zu einem Faktor im politischen und geistigen Prozess. Traditionelle Antipathie gegen Juden und neue, die sich an bestimmte Tendenzen im radikalen, neuen demokratischen Nationalis­mus anschließt, Fremdenhass und Identitätsangst im "christlich-teutschen" Kreis sind dafür so charakteristisch wie judenfeindliche (Hepp, Hepp!) Krawalle von Bauern und kleinen Bürgern 1819, eine Art Revolte der alten gegen die neue Zeit, Kehrseite der sozialen Wandlungen in einer Krise und auch Ausdruck der Unzufriedenheit gegenüber den Regierungen.
 Link ➨         Oskar Werner liest Heinrich Heine: Mir träumte
Ab 1822 verschärfte sich in Preußen der Rechtsdruck. Man hob das Judenedikt von 1812 wieder auf, 1823 schloss man sogar Synagogen. Reformen waren unmöglich geworden. Der Student der Rechte Heine krönte sein Studium folgerichtig mit einer christlichen Taufe. Die Konversion zum Protestantismus sollte ihm das "Entréebillet zur europäischen Kultur" verschaffen. Vergebens. Der junge Mann, wie auch der reife und der alternde – sie wurden in Deutschland den Makel der Geburt nie los. Der Makel der Taufe trat hinzu: "Ich bin jetzt bey Christ und Jude verhasst. Ich bereue sehr, dass ich mich getauft hab" – so Heine 1826.
 Link ➨        Oskar Werner liest Heinrich Heine: Wie kannst du ruhig schlafen
Bert Gerresheim: Heinrich Heine Monument
Lob des Christentums. Heine schrieb im Schlusswort von "Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland" 1834 an die Adresse der Franzosen, 99 Jahre vor der Machtergreifung jener, die auch seine Bücher verbrennen sollten: "Das Christentum - und das ist sein schönstes Verdienst - hat jene brutale germanische Kampflust einigermaßen besänftigt, konnte sie jedoch nicht zerstören, und wenn einst der zähmende Talisman, das Kreuz, zerbricht, dann rasselt wieder empor die Wildheit der alten Kämpfer, die unsinnige Berserkerwut(...) Der Gedanke geht der Tat voraus wie der Blitz dem Donner. Der deutsche Donner ist freilich auch ein Deutscher und ist nicht sehr gelenkig und kommt etwas langsam herangerollt; aber kommen wird er, und wenn ihr es einst krachen hört, wie es noch niemals in der Weltgeschichte gekracht hat, so wisst: der deutsche Donner hat endlich sein Ziel erreicht. Bei diesem Geräusche werden die Adler aus der Luft tot niederfallen, und die Löwen in den fernsten Wüsten Afrikas werden sich in ihre königlichen Höhlen verkriechen. Es wird ein Stück aufgeführt werden in Deutschland, wogegen die französische Revolution nur wie eine harmlose Idylle erscheinen möchte."

In seinen im Winter 1854 zwei Jahre vor seinem Tod in der Pariser Matratzengruft geschriebenen "Geständnissen" schreibt er über diese Taufe: "Die törichtsten und widersprechendsten Gerüchte sind in dieser Beziehung über mich in Umlauf gekommen. Sehr fromme, aber nicht sehr gescheute Männer des protestantischen Deutschlands haben mich dringend befragt, ob ich dem lutherisch-evangelischen Bekenntnisse, zu welchem ich mich bisher nur in lauer, offizieller Weise bekannte, jetzt, wo ich krank und gläubig geworden, mit größerer Sympathie als zuvor zugetan sei. Nein, ihr lieben Freunde, es ist in dieser Beziehung keine Änderung mit mir vorgegangen, und wenn ich überhaupt dem evangelischen Glauben angehörig bleibe, so geschieht es, weil er mich auch jetzt durchaus nicht geniert, wie er mich früher nie allzu sehr genierte. Freilich, ich gestehe es aufrichtig, als ich mich in Preußen und zumal in Berlin befand, hätte ich, wie manche meiner Freunde, mich gern von jedem kirchlichen Bande bestimmt losgesagt, wenn nicht die dortigen Behörden jedem, der sich zu keiner von den staatlich privilegierten positiven Religionen bekannte, den Aufenthalt in Preußen und zumal in Berlin verweigerten."
Heinrich Heine wollte durch die Taufe, von der er selbst gesagt hat, sie sei das "Entreebillett zur europäischen Kultur" in einem deutschen Staat angestellt werden, er wollte Professor in München werden. Später verbreitet sich auch das Gerücht, er sei zum katholischen Glauben übergetreten. Tatsächlich hat er seiner Frau den Wunsch erfüllt, in einer katholischen Kirche zu heiraten. (Wer über Heines Religionsverständnis oder Religiosität mehr wissen will, dem seien die oben zitierten "Geständnisse" ans Herz gelegt, eine Fülle von Überraschungen werden in unterhaltsamsten Ton geliefert.)

In seinem Testament von 1851 bekannte er sich zum Glauben an einen persönlichen Gott, ohne sich aber einer Kirche oder dem Judentum wieder anzunähern. In seinem Testament heißt es: "... Obschon ich durch den Taufakt der lutherischen Konfession angehöre, wünsche ich nicht, dass die Geistlichkeit dieser Kirche zu meinem Begräbnisse eingeladen werde; ebenso verzichte ich auf die Amtshandlung jeder andern Priesterschaft, um mein Leichenbegängnis zu feiern. Dieser Wunsch entspringt aus keiner freigeistigen Anwandlung. Seit vier Jahren habe ich allem philosophischen Stolze entsagt und bin zu religiösen Ideen und Gefühlen zurückgekehrt; ich sterbe im Glauben an einen einzigen Gott, den ewigen Schöpfer der Welt ..."

Titelblatt des Vorwärts! mit Heines „Weberlied“, 1844

 dem Juden Heinrich Heine nützte die Taufe nicht, so wenig als sie gut hundert Jahre später den getauften Juden das Leben zu retten vermochte. Das war eine Zeit, in der Juden auf der einen Seite Schwierigkeiten, aber auf der anderen Seite doch auch die Hoffnung hatten, dass ihre Situation mittels bestimmter Gesetze freier werden würde. Bis dahin konnten sich Juden jedenfalls nur im Kaufmannsstand etablieren. Genau aus diesem Stand kam ja auch Heinrich Heine. Und so wurde er "zumindest" Schriftsteller und wollte davon leben. Für diese Zeit ungewöhnlich und mancherorts wird er der erste Dichter genannt, der auch von seiner Dichtung leben wollte. Er gilt aber auch als der Erfinder oder Schöpfer des Feuilleton.
 Link ➨        "Geständnisse":
"Aber, wie du wohl weißt, geneigter Leser...Es ist nichts aus mir geworden, nichts als ein Dichter." Ein Text von Heinrich Heine, der mehr als jede schöne Biografie von Heinrich Heine hergibt, seine todkrank und unter Schmerzen in der Matratzengruft geschriebenen Geständnisse.
Burschenschafter. Ausgerechnet jene karnevallskostümierten, saufenden und schlagenden Burschenschafter führen als Beleg für ihre "Geistigkeit" immer auch Heinrich Heine als Zeitzeugen, als Burschenschafter. Sie unterschlagen die Wahrheit: Heine verbrachte seine Studienjahre an Universitäten in Bonn, Berlin und Göttingen. Dort auch wurde er zunehmend mit Antisemitismus und Unfreiheit konfrontiert. In Göttingen wurde er aus der Burschenschaft "Allgemeinheit" ausgeschlossen, weil er angeblich ein unkeusches Leben geführt hatte. Der wirkliche Grund allerdings war seine jüdische Herkunft. Heine hat einfach nicht in die "christlich-deutsche" Burschenschaft gepasst und galt als Außenseiter. Doch Heine ließ sich nicht auf Grund seines Glaubens aus dem gesellschaftlichen Leben ausschließen. Er forderte zum Duell auf, worauf er in Göttingen von der Universität verwiesen wurde.
 Link ➨        Heine zum Anhören: Vorleser.net
Grab - Nordfriedhof in Paris
Franzose. Das Bild, das wir von Heinrich Heine haben, ist mit seinen Liebesliedern, mit Wintermärchen oder dem Weber-Lied höchst unvollkommen. Heine schrieb zwar die berühmtesten Liebeslieder der deutschen Lyrik. Nie sind so viele vor ihm oder nach ihm in alle Sprachen der Welt übersetzt werden – selbst ins Mongolische oder in kleinste Dialekte. Die "Loreley" wird in japanischen Grundschulen bis zum heutigen Tag auswendig gelernt! Heinrich Heine ist auch von so vielen Komponisten vertont worden wie wahrscheinlich kein anderer Autor in deutscher Sprache. Heine ein deutscher Dichter? Heine dichtete ebenso französisch, war Franzose. 1797 in Düsseldorf geboren, war Düsseldorf in französischer Hand. Er konnte auch deshalb aus Paris nicht ausgewiesen werden, wo er bis zu seinem Tode blieb. Er war ein europäischer Dichter.
 Link ➨         Heinrich Heine Online
Denk ich an Deutschland in der Nacht... Und er ist der Dichter der Verbannten. Heine durfte wegen Majestätsbeleidigung nicht zurück nach Deutschland, zu seiner Mutter. Heinrich Heine ist auf diese Weise auch zum Vorbild für alle Verbannten und Vertriebenen auf der ganzen Welt geworden. "Die Nachtgedanken", eines seiner berühmtesten Gedichte, mit der berühmten Anfangszeile "Denk ich an Deutschland in der Nacht...": Das war ja das Gedicht des Exils und ist es bis heute. Alle Exilierten auch aus Nazideutschland haben sich mit diesem Heine-Gedicht identifiziert. Heinrich Heine war als Vorbild fast so monumental, wie es Goethe für die Deutschen gewesen ist. Im "Almansor" heißt es: "Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen." Heine scheint also genau gewusst zu haben, welche Sprengkraft im Wort liegt.
 Link ➨        Heine und ... Düsseldorf
Mathilde Heine
Heinrich Heine. Geboren am 13.12.1797 in Düsseldorf als Sohn des jüdischen Schnittwarenhändlers Samson Heine. 1810-1814 Lyzeum Düsseldorf. 1815 kaufmännischer Lehrling in Frankfurt/Main. 1816 im Bankhaus seines vermögenden Onkels in Hamburg. Mit Unterstützung des Onkels Jurastudium in Bonn. 1820 nach Göttingen, relegiert wegen eines Duellvergehens. 1821-1823 Studium in Berlin. 1831 Reise nach Paris zum endgültigen Aufenthalt. 1835 Verbot seiner Schriften in Deutschland. Heine starb am 17.2.1856 in Paris.

Keine Kommentare: