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Freitag, 30. März 2012

Zum Tee auf dem Berghof

Im Jahr 1943 fliegt der norwegische Literatur-Nobelpreisträger Knut Hamsun in Adolf Hitlers  "Privatmaschine" zu einem Gespräch mit dem Führer und Besatzer Norwegens nach Berchtesgaden. Am 26. Juni 1943 trifft er sich mit Adolf Hitler auf dem Berghof zum Tee. Es soll dort sehr laut zugegangen sein.


Lautstark. Freilich sind die Schilderungen darüber unterschiedlich. Die "Pro-Hamsun-Fraktion", die sein Engagement für die Nazis gerne etwas herunterspielen will, berichtet, dass er Hitler angeschrieen habe, weil der Reichskommissar Terboven Geiselerschießungen durchgeführt habe. Noch während der Eroberung Norwegens durch die deutschen Truppen wird Terboven am 24. April 1940 durch Führererlass zum Reichskommissar für das besetzte Norwegen ernannt. Terboven versteht es, sich mit der SS zu arrangieren und erlangt so Einfluss auf SS-interne Personalfragen. Dies verleiht ihm quasi uneingeschränkte Macht in Norwegen. Terboven gelingt es, mit Hilfe von SS, Sicherheitsdienst und Gestapo, ein straff organisiertes Terrorregime zu errichten, das gegen den norwegischen Widerstand hart durchgreift. Die Geiselhinrichtungen seien aber tatsächlich gestoppt worden. Belegt ist nur: Er setzte sich für einige Norweger ein, die von der Besatzungsmacht hingerichtet werden sollten, bei anderen tat er das nicht, obwohl er dazu aufgefordert worden war.

Andere berichten es aber auch anders: Der 83jährige Nobelpreisträger im Gesprächsversuch mit dem personifizierten Größenwahn - fast taub, so dass Hitler brüllen musste und rasch der Szene wütend entfloh. Und der 83-jährige norwegische Gast brauchte ja auch nicht allzu viel Mut, was sollte ihm denn geschehen? Hat er sich gegen Geiselerschießungen auch wirklich eingesetzt, dann wohl aus der klaren Sichtweise heraus, dass die von ihm geförderte Quisling-Partei "Nasjonal Samling" (NS) aus den Geiselhinrichtungen kaum Nutzen ziehen konnte.
 Link ➨        Hochkultur und Hochverrat   
Zugegeben. Hamsun war schon alt, aber keineswegs nicht mehr "bei Trost". Die Hamsun-Verteidiger machen es sich bis heute recht leicht, wenn sie aus seiner Verteidigung zitieren: "Und niemand sagte mir, dass es falsch sei, was ich schrieb, niemand im ganzen Land. Ich saß allein in meinem Zimmer, ausschließlich auf mich selbst gestellt. Ich hörte nicht, ich war sehr taub, man konnte sich nicht mit mir abgeben." Ja wer hätte ihm unter Terbovens blutigem Regime denn wirklich öffentlich widersprechen können?

Am 25. September 1940 löst Reichskommissar Terboven alle Parteien außer Quislings NS-Partei auf und erklärt diese zur einzigen und staatstragenden Partei in Norwegen. Ungefähr 55.000 Norweger werden im Laufe des Krieges Parteimitglied. Die Nasjonal Samling erhält massive Unterstützung von der Okkupationsmacht. Das Reichskommissariat in Norwegen erhielt ein eigenes Büro für N.S.-Fragen. Geld und personelle Unterstützung (organisatorische Berater) werden der Partei von deutscher Seite zur Verfügung gestellt. In allen öffentlichen Bereichen wie Presse, Justiz, usw. erhalten N.S.-Leute Führungspositionen. Viele N.S.-Mitglieder denunzieren Landsleute bei der deutschen Sicherheitspolizei und über 50.000 Norweger sitzen während des Krieges in Konzentrationslagern. Auch wenn es Hamsun nicht will, die Norweger sind keine Kollaborateure und Quislinge. Wenn sich auch ungefähr 7000 Norweger zum Fronteinsatz für das Deutsche Reich melden, der Großteil davon in der "Den Norske Legion" (norw. Verband der SS), so stehen dagegen doch 15.000 Norweger im riskanten Dienst der Alliierten, die auf norwegischem Gebiet ja keine Besatzungsfunktion ausüben können.

Ossietzky. Willy Brandt nennt Hamsun böswillig-naiv und senil als er sich nicht zu schade ist zur Verhaftung Carl von Ossietzkys in einem Artikel zu behaupten, dass Ossietzky seine Verhaftung selbst provoziert und verschuldet habe:
"Während meiner Zeit in Norwegen erlebte ich Ende 1935 den Aufschrei der Empörung, als der in Senilität abgleitende Knut Hamsun in einer Zeitung gegen den wehrlosen Ossietzky zu Felde zog. Der bedeutende Dichter, der er bleibt, fragte böswillig-naiv, warum sich Ossietzky denn habe einsperren lassen; er hätte doch emigrieren können! Und was sei falsch daran, dass Deutschland militärisch stärker werde? "Dieser eigentümliche Friedensfreund", so Hamsun, "dient nun seiner Friedensidee dadurch, den Behörden seines Vaterlandes permanent unbequem zu sein." Der Aufschrei der norwegischen Schriftsteller - von Sigrid Undset bis Sigurd Hoel, Arnulf Överland und den ganz jungen - ließ sich nicht dadurch dämpfen, dass die Urteilsfähigkeit des Alten schon damals beträchtlich gelitten hatte. Sein Hass auf England war pathologisch, so auch seine Bewunderung deutscher Macht. Daraus resultierte die Tragödie dieses Greises, den seineLandsleute während des Krieges noch weniger verstehen konnten. (Ich war traurig, kürzlich in einem wichtigen Magazin bestätigt zu finden, dass man hierzulande kaum verstanden hat, worum es damals ging. Es hieß lapidar, Hamsun habe seinen Landsleuten geraten, sich mit der deutschen Besetzung abzufinden.) Hinzu kommt die bittere Ironie, dass Ossietzky zu den deutschen Bewunderern Hamsuns gehörte. Noch kurz vor seinem Tod Anfang 1938 versuchte er, dem Mann, der ihn geschmäht hatte, einen Gruß ausrichten zu lassen." 
 Link ➨         Willy Brandt: Die Nobelpreiskampagne für Carl von Ossietzky, pdf
Quisling. Quisling und seine den Nazis nachgebildete Partei haben unter demokratischen Bedingungen in Norwegen keine Chance. Bei den Parlamentswahlen 1933 erhält die Nasjonal Samling ca. 27.000 Stimmen (2,2%) und betreibt ab Herbst 1935 eine zunehmende Radikalisierung und antisemitische Agitation. Es werden Parteiorganisationen gegründet und ein politischer "Saalschutz" nach dem Muster der SA namens Hird und eine parteiinterne Elitegruppe nach dem Vorbild der SS, die sich KO (Kampforganisasjon) nannte, sowie eine N.S.-Kvinneorganisasjon (Frauenorganisation) und einen Ungdomsforbund (Jugendbund). Trotzdem erhält die Nasjonal Samling bei den Parlamentswahlen 1936 - auch trotz der Unterstützung durch Hamsun - nur noch 26.577 Stimmen (1,8%). 1937 droht die Partei in der Bedeutungslosigkeit zu versinken und zu einer kleinen Sekte zusammenzuschrumpfen. Erst nach der Besatzung Norwegens gewinnt die N.S. unter Führung von Quisling an Bedeutung.

Noch heute gilt der Name "Quisling" als Synonym für Verräter und Kollaborateur und ist auch in den Lexika darunter zu finden. Im Dezember 1939 fährt Quisling nach Berlin zu Hitler und stellt sich für den Fall einer deutschen Invasion Norwegens als Ministerpräsident einer Kollaborationsregierung zur Verfügung. Er gibt der deutschen Marine Tipps über Details, welche die Landung betreffen. Dazu hatte er genügend Informationen (im März 1931 war Quisling Verteidigungsminister einer Bauernregierung geworden). Am 9. April 1940, unmittelbar nach der Invasion, führt Quisling einen Staatsstreich durch und erklärt sich im Radio zum Ministerpräsidenten Norwegens. Aber erst ab Februar 1942 wird Quisling offiziell Ministerpräsident Norwegens von Hitlers Gnaden. Er wird am 10. September 1945 wegen Landesverrats zum Tode verurteilt. Das Urteil wird am 24. Oktober des gleichen Jahres auf der Akershusfestung in Oslo vollstreckt.

Hamsun bewunderte den "festen Charakter und unbeugsamen Willen" des Führers der norwegischen Nazis, Vidkun Quislings, pflegte persönliche Kontakte zu Mitgliedern der "Nasjonal Samling" (NS) und machte bei den Wahlen 1936 Propaganda für Quislings "NS". Vidkun Quisling (1887-1945), Führer der faschistischen Partei "Nasjonal Samling", wird, trotz des geringen Rückhalts in der Bevölkerung am 1.2.1942 als Ministerpräsidenten einer Kollaborationsregierung eingesetzt, die Terboven untersteht. Zehn Tage nach der Besetzung Norwegens durch deutsche Truppen rief Hamsun gar dazu auf, nicht den Widerstandsaufrufen des geflohenen norwegischen Parlamentssprechers zu folgen, weil dieser jüdischer Abstammung sei.

Nazifan. Seine Parteinahme für Nazi-Deutschland zeigt sich auch in Aufsätzen, in denen er neben Stalin und Churchill vor allem Roosevelt als "einen Juden im jüdischen Sold, den führenden Geist in Amerikas Krieg für das Gold und die Judenmacht" angriff. Ende 1941 setzte sich Hamsun mit einem Aufruf für die Aufstellung einer norwegischen Legion ein, die an der Seite der Wehrmacht gegen den "Bolschewismus" kämpfen sollte. Im Mai 1943 besuchte Hamsun den NS-Propagandaminister Goebbels der zum Dank Hamsuns Werke in einer Auflage von 100 000 Exemplare auf den deutschen Buchmarkt brachte. Im Gegenzug schickte Hamsun Goebbels seine Nobelpreismedaille. Einen Monat später traf Hamsun auch Hitler. Wie sehr Hamsun von Hitler begeistert war, gab er noch am 7. Mai 1945, einen Tag vor der Befreiung Deutschlands von Naziregime, zum Ausdruck. In einem Nachruf auf Hitler schrieb Hamsun: "Er war ein Kämpfer, ein Kämpfer für die Menschheit und ein Verkünder der Botschaft vom Recht für alle Völker. Er war ein Reformator von höchstem Rang, und sein historisches Schicksal war es, in einer Zeit beispielloser Rohheit wirken zu müssen, der er schließlich zum Opfer fiel. So müssen die Mitteleuropäer Hitler sehen. Wir jedoch, seine Anhänger, verneigen unser Haupt vor seiner sterblichen Hülle".

Mit 86 Jahren, nach zwei Schlaganfällen und beinah taub, wird Hamsun als Landesverräter verhaftet. Doch die Hemmungen, den alten, lange Zeit so bewunderten Mann zur Verantwortung zu ziehen und die ganze Unmöglichkeit seiner Haltungen amtlich festzustellen und zu bestrafen, ist groß. Norwegen will und kann sich weder Schuld noch Freispruch leisten. Man verlegt sich darauf, seinen Geisteszustand zu untersuchen, hält ihn in einem Altersheim und später in einer psychiatrischen Klinik fest. Es scheint als wolle man warten, dass sich das Problem mit seinem Hinscheiden selbst löst. Hamsun hat von dieser Zeit in seinem letzten Buch berichtet: "Auf überwachsenen Pfaden". Schließlich verurteilt ihn ein Schöffengericht zu einer Geldstrafe von 500.000 Kronen, die ihn finanziell ruiniert, die jedoch 1948 auf 350.000 Kronen reduziert wird.
 Link ➨        Knut Hamsun - Wikipedia
Wirkung. Wie kam ein solcher Geist zu einem Nobelpreis? wird man sich fragen. Am besten die Antwort Ossietzkys auf die Nachricht von Hamsuns Artikel gegen ihn: "Ich kenne ihn nicht als Menschen. Aber was für ein Dichter!" - Hamsun war Autodidakt, Selfmademan aus armseligen Bauernverhältnissen und riss nach fünf Schuljahren aus; trieb sich als Landstreicher herum, als Hausierer, Schuster, Holzfäller, Straßenarbeiter und Ladengehilfe. Ging zweimal nach Amerika und hasste danach den angloamerikanischen "Krämergeist" mitsamt der "geistlosen Demokratie" und der "Tyrannei der Frauen".

Und keine Frage, seine Bücher waren auch - wie man heute sagen würde - in der "Szene" gelesen und beliebt. Ähnliche antikapitalistische und Anti-Fortschrittshaltungen sind ja bis heute auch selbst bei "Linken" und natürlich "Ökologen" en vogue. Sätze aus seinem Landstreicher, die man so auch heute hören kann: "Der Mensch lebt nicht von den Banken und von der Industrie... Der Mensch lebt von der Erde, die ihn nährt, von der Luft, die er atmet, und von dem Wasser, in dem Fische schwimmen." Hamsun verachtete die Massen als Gleichberechtigte. Sein elitäres Führerdenken kam aus den weiten Wäldern, aus der harten Natur und dem Überlebenskampf. Der mündete damals leider im Faschismus: Hamsun jubelte nicht nur Hitler zu, rief die Norweger nicht nur dazu auf, sich nicht gegen die Nazi-Besetzung zu wehren: "Ich schicke meine Kinder nach Deutschland", schrieb er 1934, "sie sind dort in guter Hut und kehren gereift zurück." Der Älteste ging zur SS, der Jüngere erhielt an der Ostfront das Eiserne Kreuz, die Tochter versuchte mit Goebbels' Hilfe eine Filmkarriere in Berlin, und die Ehefrau Marie zog mit Propagandareden durchs Reich.
24.6.11/30.3.12/ 

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