Der Roman "Der Steppenwolf" von Hermann Hesse kommt am 1.Juni 1927 auf den Markt und begründet seinen Weltruhm. Zum 50. Geburtstag (2. Juli 1927) erscheint auch die Hesse-Biografie von Hugo Ball. 1946 wird Hesse mit dem Literaturnobelpreis und 1955 mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet.
Lyrik - Steppenwolf. Kein anderes Werk wurde so missverstanden, musste von seinem Autor immer wieder verteidigt und erklärt werden. Andererseits hat gerade dieses Buch in den 1960er Jahren eine Hesse-Rezeption in Amerika und Deutschland ausgelöst. Zu Beginn der zwanziger Jahre erleidet der bald fünfzigjährige Hesse eine tiefe Lebenskrise, die sich in den Texten "Tagebuch eines Entgleisten" (1922) und "Kurgast" (unter dem Titel "Psychologia Balnearia" 1923 entstanden) äußert. In vielen Briefen aus jener Zeit klagt Hesse über Depressionen und spielt wiederholt auf Selbstmordgedanken an. Im August 1925 erwähnt er in einem Brief erstmals Pläne zu einem phantastischen Buch vom Steppenwolf, der darunter leidet, dass er zur Hälfte ein Mensch, zur anderen ein Wolf ist. Der Tiefpunkt der Krise ist im Winter 1925/26 erreicht. In diesem Zeitraum entsteht die überwiegende Mehrzahl der Krisis-Gedichte.
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Hesse betont am 14. Oktober 1926 in einem Brief an Heinrich Wiegand, er "schreibe keine Dichtung, sondern eben Bekenntnis, so wie ein Ertrinkender oder Vergifteter sich nicht mit der Frisur beschäftigt oder mit der Modulation seiner Stimme, sondern eben hinausschreit." Er schickt das Manuskript der Krisis-Gedichte am 18. Juni 1926 an S. Fischer. Der Verleger widersetzt sich aber vorerst einer Veröffentlichung, und auch Hesses späteres Ansinnen, die Gedichte zusammen mit dem Roman erscheinen zu lassen, findet kein geneigtes Ohr. Im November 1926 erscheint eine Auswahl der Gedichte in der Neuen Rundschau unter dem Titel "Der Steppenwolf. Ein Stück Tagebuch in Versen". Die Reaktionen auf die Gedichte sind recht zwiespältig: Von einigen wenigen - unter ihnen Thomas Mann, Stefan Zweig und Oskar Loerke - als neuartiger Ausdrucksversuch des Dichters gelobt, rufen sie bei der Mehrzahl der Leser und Leserinnen, nicht zuletzt bei seinem Verleger selbst, Widerwillen und Ablehnung hervor
Prosa - Steppenwolf. Hesse macht sich in der Folge daran, die Gedichte in eine Prosafassung umzuarbeiten. In nur sechs Wochen, vom 16. Dezember 1926 bis zum 11. Januar 1927, beendet Hesse das Tiposkript des "Prosa-Steppenwolfs", wie es Hesse in verschiedenen Briefen aus dieser Zeit bezeichnet. Hesse transformiert die lyrischen Texte in eine Prosafassung in nur sechs Wochen! Hugo Ball lässt er am 2. Januar 1927 wissen: "Zur Zeit sitze ich Tag für Tag, mit schmerzenden Augen und mit schmerzenden Gicht-Händen an der Schreibmaschine, um den Prosa-Steppenwolf ins Reine zu schreiben, der nach Fischers Absicht vielleicht schon zum Geburtstag als Buch erscheinen soll."
Zum 50. Geburtstag am 2. Juli 1927 soll auch die Hesse-Biografie von Hugo Ball erscheinen. Der angesichts der Krisis-Gedichte zögernde Verleger S. Fischer ist nun begeistert. "Es gibt den Roman Steppenwolf, in Prosa, der ist kürzlich zu Ende geschrieben und liegt beim Verleger, erscheint so bald wie möglich. Gestern sagte mir Fischer, der ihn noch auf der Reise zu Ende gelesen hatte, seine Meinung darüber. Ich habe ihn seit 25 Jahren nie so erschüttert, begeistert und auch beunruhigt von einem neuen Buch sprechen hören. Das Buch wird Aufsehen machen ..." schreibt Hesse am 9. Februar 1927 an seine Schwester Adele.
Das Jahr 1927 ist das Jahr, in dem Hesse seinen 50. Geburtstag feiert. Gleichzeitig mit dem Steppenwolf erscheint auch "Die Nürnberger Reise" beim S. Fischer Verlag in Berlin. Ebenso erscheint eine Biografie von Hermann Hesses Freund Hugo Ball. Der Biograf Hugo Ball ist Autor und Mitbegründer der Zürcher Dada-Bewegung. Doch schon im September 1927 stirbt Hugo Ball. Auf Wunsch von Hesses zweiter Frau, Ruth Wenger, erfolgt in diesem Jahr auch die Scheidung der 1924 geschlossenen Ehe.
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Hugo Ball über Hermann Hesse und den "Steppenwolf":
"Ein Werk auf die Katastrophe hin bauen", dieses Nietzschewort liegt Hesse sehr nahe; er selbst könnte sein Werk auf die Katastrophe hin bauen oder gebaut haben." Bei Hölderlin wie bei Novalis sieht Hesse "das Schicksal des außerordentlichen, genialen Menschen, dem die Anpassung an die normale Welt nicht gelingt; das Schicksal des Sonntagskindes, das den Alltag nicht ertragen kann, das Schicksal des Helden, der in der Luft des gemeinen Lebens erstickt". Das ist die Begründung der Steppenwolf-Gedichte und -Ausfälle. Im Nachwort zu "Novalis" sowohl wie zum "Hölderlin" (beide bei Fischer) stehen Sätze, die jeder Freund des Dichters als dessen eigenes Problem, als seine eigene Qual erkennt.
Von Novalis sagt er: "Ebenso wie sein kurzes, äußerlich tatenloses Leben den Eindruck seltsamster Fülle macht und jede Sinnlichkeit wie jede Geistigkeit erschöpft zu haben scheint, so zeigen die Runen dieses Werkes unter spielender, entzückend blumiger Oberfläche alle Abgründe des Geistes, der Vergöttlichung durch den Geist und der Verzweiflung am Geiste." Auch das Schicksal des Hölderlin gibt einen Aufschluss über die mitunter befremdlichen Lebensexperimente des Steppenwolf-Dichters. Das Schicksal Hölderlins lässt ihn mahnen: "Es ist lebensgefährlich, sein Triebleben allzu einseitig unter die Herrschaft des triebfeindlichen Geistes zu stellen, denn jedes Stück unseres Trieblebens, dessen Sublimierung nicht völlig gelingt, bringt uns auf dem Wege der Verdrängung schwere Leiden. Dies war Hölderlins individuelles Problem, und er ist ihm erlegen. Er hat eine Geistigkeit in sich hochgezüchtet, welche seiner Natur Gewalt antat."
Hesses Studium und Liebhaberei wird mit den Jahren mehr und mehr die Magie. Sie ist ihm der bildhaft betonte Geist; die von allen Kräften der Sinne und der Seele zugleich erfüllte Phantasieform. Sie ist ihm das Siegel und die ergreifende Energie der Geste, der Andeutung, des Namens. Sie ist ihm eine Wehr gegen die Verkümmerung der Instinkte sowohl wie gegen ihre Verrohung. In der Magie hat alles unbewusste Triebleben eine adäquate geistige Form gefunden. Es gibt von Hesse eine Charakteristik "Goethe und Bettina" (Neue Rundschau 1924), worin der alte Herr Geheimrat kaum mehr kraxeln kann und doch die jüngsten Lebewesen noch in seinen Bann zieht. Hesse liebt das langsame Mittelpunktwerden, das den Mann von Weimar zu einer Zentralsonne am deutschen Himmel gemacht hat. Bei Mozart aber liebt er etwas anderes. Hier ist es das rosenrote Papageno-Märchen und die dunkle Glut des Teufels Don Giovanni, den ein ewig kicherndes Kinderherz in Kontrapunktik und Koloraturen so ganz und gar zu verstricken und zu verwickeln weiß, dass dieser Unhold, mehr als von Blitz und Donner, von der genialsten Tonkunst überwunden und unschädlich gemacht wird.
Der "Steppenwolf"-Roman, dieses Unikum von Dichtung, ist Hesses jüngste und mächtigste Inkarnation. Wenn es gelänge, den Feind im eigenen Innern zu packen und aufzulösen, die treibende vitale Kraft auf eine plausible Formel zu bringen; wenn es gelänge, dies leidenschaftlich unruhige, wogende, quälende, aller Sublimierung und Zivilisierung hohnsprechende Wesen auseinanderzulegen, in zierliche Worte zu fassen, es mit aller Gnade und allem Licht zu durchdringen –: Damit wäre etwas geschehen. Damit wäre diesem bisher unzugänglichen, namenlosen Wesen zu Leibe gerückt. Damit wäre für die Folge unliebsamen Überraschungen von der Instinktseite her vorgebeugt. Damit wäre die Lebenskraft selber entwurzelt und erschüttert; das Tier im Menschen wäre zutage gefördert und, wer weiß, vielleicht gebrochen. Damit wäre ein dämonisches Urbild gehoben, und einer Unsumme von Beängstigungen, von Hysterien, von schillernden Sophismen wäre der Weg verlegt. Damit wäre ein Humor ermöglicht, der mehr zu sein vermochte als anstellige Verlegenheit und gute Miene zum bösen Spiel.
Es gibt neben dem Idylliker und Asketen einen robusten, veitstänzerischen, flagellantischen Hesse. Es gibt neben dem schwermütigen Dichter des "Demian" einen überschäumenden, girrenden, tönenden Klingsor, der über zehn Leben verfügt. Es gibt, seit dem "Steppenwolf", einen Hesse, dem der Furor Teutonicus so gut bekannt ist wie der kleine schmachtende Pennäler. Er weiß die Harfe zu schlagen, dass sie unheimlich surrt und dröhnt, nachdem sie vergebens gesäuselt und gesungen hat. Der Wolf (auch in Wolfgang Amadeus und in Johann Wolfgang) ist ein Raubtier, das über scharfe Augen und Ohren und über ein respektables Gebiss verfügt. Rehen, Gänsen und Hasen, Eseln ebenso ist dieses Tier sehr gefährlich. Es gibt, vor seinen geschärften Sinnen, keine intellektualistischen Kunststücke und mogelnden Flausen –: Das ist der Ernst dieses Romans. Sein Spaß aber ist: Dass dieses weltfremde Wesen noch mit fünfzig Jahren viele graziöse Steps hat tanzen müssen, ehe es imstande war, als ein richtiger Steppenwolf ein wenig Munterkeit in die literarische Zunft zu bringen.
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Vor diesem wohlgebauten Steppenwolf verfangen keine falschen Geburtstagstiraden. Nur der heilige Franz selber könnte ihn bekehren. Dass solch ein mythologisches Untier sich mitten in unserem modernen Leben mag blicken lassen, das deutet auf eine Zeit, in der man die Kunst der Liebe und der Begütigung, die verstehende menschliche Kunst nur noch gedruckt, nur schwarz auf weiß noch zu finden vermag. Gleichwohl: In diesem männlichen, ernsten Buche ist, mit negativem Vorzeichen, die Romantik noch einmal. Hier ist die Mystik unseres Görres und die Welt des alten Brognoli. Mag man ach und weh und vielleicht Schlimmeres rufen; gleichwohl: Hier ist der Versuch, die zusammengefassten und auf eine glückliche Formel gebrachten Dämonismen unserer Zeit abzustoßen, um Raum zu gewinnen für alle Güte und unbehinderte Höhe. Hier ist ein jugendlich tanzender Kämpe, der mit Augen, in die man aus Scheu nicht zu blicken wagt, seine Sache verteidigt und seine Liebe schützt. Als Wappen- und Totemtier tritt er an die Spitze eines Bundes von heimlich Versunkenen, deren Herz und Geist die hohen Worte blank und rein erhalten wissen will.
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