Am 1. Juli 1953 scheidet Jean Prouvé - einer der herausragendsten Konstrukteure, Architekten und Designer des 20. Jhds - aus seiner Firma aus, als die "Aluminium Francais" die Mehrheits an seiner Firma übernimmt. Am Höhepunkt beschäftigte die "Société des Ateliers Jean Prouvè" 250 Leute. Prouvé bleibt aber die treibende, innovative Kraft.
Kreativer Unternehmer. Jean Prouvé begann seine Laufbahn 1916 mit einer Ausbildung als Kunstschmied im Umfeld der von seinem Vater geleiteten École de Nancy, einer Hochburg des Art Nouveau. Seine Kenntnisse ständig erweiternd, richtete er 1924 eine eigene Werkstatt ein und entwickelte sich zu einem Spezialisten auf dem Gebiet der Metallblechverarbeitung. Ab 1925 öffnet sich Prouvé der Moderne, lernt - namentlich über die Union des Artistes Modernes - die Werke der französischen Avantgarde kennen (Beaudouin, Le Corbusier, Garnier, Jeanneret, Lods, Mallet-Stevens, Perriand . . .), stattet sein Atelier mit neuen Maschinen aus. Es entstehen nicht nur Möbel (insbesondere heute sehr gefragte Stühle), sondern auch Treppengeländer, Aufzugschächte und fassadenartige Fensterfronten. Aus dem Kunsthandwerker wird ein Konstrukteur. Die praktische unternehmerische Tätigkeit bildet seitdem immer die Basis seiner Produkte. Über Kontakte erhält Jean Prouvé schnell Großaufträge für Gitter oder Glasflächen. Rasch nimmt der Einsatz von Blech zu; es werden Trennwände, Aufzugkabinen, Fenster- und Türrahmen entwickelt und in Serienfertigung mit bis zu fünfzehn Angestellten produziert. Durch diese Beschäftigung mit dem neuen Material verwandelte sich die Schmiede Werkstatt mehr und mehr in einen Konstruktionsbetrieb, die Esse wurde durch "kalte" Arbeiten wie Falzen, Schrauben, Schneiden ersetzt. Prouvé wurde somit vom Handwerker zum Industriellen. Einschränkung: Im Grunde bleiben seine Betriebe immer industriell organisierte Handwerksbetriebe.
1931 wird die Aktiengesellschaft "Ateliers Jean Prouvé" mit eigenem Forschungsbüro und vierzig Mitarbeitern gegründet. Die gut ausgelastete Metallbaufirma betreibt dank ihrer Serienanfertigungen ein schwunghaftes Geschäft mit Bauteilen und eigenen Möbelentwicklungen. Vom Türknauf bis zum Fliegerklub, vom Operationssaal bis zur Telefonzelle hat Jean Prouvé (1901-1984) so ziemlich alles in Form gebracht. Bei Prouvé folgte die Theorie der Praxis, die Zeichnung dem Prototyp und ästhetische Qualitäten waren nicht Ziel, sondern das Ergebnis seines Schaffens.
Innovativer Künstler. Von großer Bedeutung ist der nicht ausgeführte Entwurf für einen Busbahnhof in La Villette (1933), der in Gänze aus gefaltetem Stahlblech hätte bestehen sollen: Eine Vorwegnahme des Aéro-Club in Buc (1936) und der Maison du Peuple (Haus des Volkes) in Clichy. Die Maison du Peuple in Clichy (1939) zeigt exemplarisch Prouvés Fähigkeit, noch für die komplexesten Bauvorgaben eine einfache, funktionsfähige Lösung zu finden. Das modulable Gebäude dient wahlweise als Kino- oder Ballsaal für 500 Personen, als großer Saal für 2000 Zuschauer oder als Markthalle. Dies wird dank dem abnehmbaren Fußboden im ersten Stock möglich: Ohne ihn hat man ein Atrium mit Umläufen (das Glasdach kann zudem wie ein horizontales Schiebefenster geöffnet werden, um den Markt unter freiem Himmel abzuhalten). Mit dem Fußboden entsteht ein großer oder - dank beweglichen Trennwänden - kleiner Saal.
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Der Avantgardist war während des II. Weltkrieges in der Résistance aktiv und nach dem Rückzug der deutschen Besatzer für kurze Zeit Bürgermeister von Nancy. 1944 öffnet Prouvé seine Ateliers in Maxéville bei Nancy, in denen er bis zur Mehrheitsbeteiligung der französischen Aluminium-Gesesellschaft eine auf der finanziellen und kreativen Mitbeteiligung der Angestellten begründete Form der Arbeitsteilung perfektioniert, die ihrer und wohl auch wieder unserer Zeit weit voraus ist. 110 Arbeiter und 60 Angestellte entwickeln in enger Verknüpfung zwischen Büro und Ausführung zahlreiche Prototypen wie Fassaden, Dachelemente wie Schalen oder Sheds, ganze Häuser, leichte Vorhangfassaden. Dort erforscht er neben industriell gefertigten Metallhäusern und vielem mehr die Möglichkeiten des "Mur-rideau", der "Vorhangfassade" die er gegen 1930 mit erfunden hat: Während die tragenden Strukturen ins Innere des Gebäudes verlagert sind und dort z. B. die Sanitär- oder Küchenanlagen aufnehmen, hat die Fassade sich anderen Problemen zu stellen, wie Wärmeisolierung, Licht, Belüftung, Sonnenschutz, Ästhetik.
Trotz Rationalisierung und industrielle Organisation gab es kein Fließband, gleiche Konstruktionen wichen beträchtlich von einander ab und erlaubten Individualisierung und Verbesserung. Die Innovationskraft und der Ideenreichtum von Jean Prouvè kannte keine Grenzen und machte auch vor Häuser "ab Werk" keinen Halt. Am Höhepunkt seiner Fertigung beschäftigten die "Société des Ateliers Jean Prouvè" 250 Arbeitnehmer. Doch zum 1. Juli 1953 scheidet Jean Prouvé aus seiner Firma aus, als die französische Aluminium-Gesellschaft die Mehrheitsbeteiligung an seiner Firma übernimmt, die 1956 den Namen wechselt und 1981 geschlossen wird. Der Hauptaktionär "Aluminium Francais" fordert die Vereinheitlichung der Produktion. Trotz der Übernahme bleibt Jean Prouvé die treibende, innovative Kraft. Er scheitert jedoch an der Verwaltung und Produktionsorganisation.
Legendär ist seine Lehrtätigkeit von 1958 bis 1971 am Conservatoire national des arts et métiers in Paris, welche die nachfolgende Architektengeneration beeinflusst. Konstruktive Vernunft, neueste Techniken der Materialbearbeitung und Unternehmungsgeist - drei Eigenschaften, die Zeit seines Lebens als Grundsatz beherzigt wurden und die Vorbild für ganze Heerscharen von Designern wurden. Nebenbei beteiligt er sich an Bauvorhaben und betätigt sich als Berater. Im Jahre 1971 präsidiert er die Jury für den Architekturwettbewerb des Centre Pompidou; das Siegerprojekt von Piano und Rogers übernimmt in seiner ursprünglichen Form wesentliche Elemente der Maison du Peuple.
Jean Prouvé. (* 8. April 1901 in Paris, † 23. März 1984 in Nancy) Im Alter von 15 Jahren begann Prouvé 1916 auf Betreiben seines Vaters eine Lehre als Kunstschmied. Das Kunstschmiedehandwerk war zu dieser Zeit ein gefragtes Handwerk, die Architektur war durch die Schule von Nancy (Prouvé's Vater war Mitbegründer und Lehrer) eine stark ornamentale und vom Jugendstil geprägte. 1923 gründete Prouvé eine eigene Werkstatt, die bald einen anorganischen, ornamentfeindlichen Stil entwickelt auf den Architekten wie Le Courbusier aufmerksam werden. Bei ersten Möbelentwürfen verwendete Prouvé bereits damals Stahlblech das durch Falzen zusätzliche Stabilität erlangte.
Er gilt als ein Poet der Technik. Statt schön zu zeichnen, skizzierte er bestenfalls flüchtig. Vor allem aber experimentierte er in der eigenen Werkstatt: Jean Prouvé begann als Kunstschlosser zwischen Art Nouveau und Art Deco, tauschte die Welt des Luxus und der Moden gegen die Teilnahme am Aufbruch in das von ihm erhoffte sozial gerechte Industriezeitalter. Sein Lieblingsmaterial waren gestanzte und gebogene Bleche. Sein Oeuvre umfasst Entwürfe vom Brieföffner angefangen über Tür- und Fensterbeschläge sowie Leuchten bis hin zu vorgefertigten Architekturmodulen in Leichtbauweise aus Metall und Aluminium. Prouvé gilt heute als einer wichtigsten Pioniere der Serienfertigung von Möbeln und der Industrialisierung des Bauens. Ein Beispiel dafür ist die 1951 von Prouvé gemeinsam mit seinem Bruder Henry entworfene Tankstelle für die Firma Socony-Vacuum/Mobiloil. Sechs dieser Serientankstellen wurden realisiert, drei überlebten bis zum heutigen Tag.
Die manufakturelle Produktion in Nancy, die Einzel- und Serienfertigung erlaubte, umfasste Standardstühle und Schulmöbel ebenso wie Ruhesessel und Schreibtische. Dank seiner Erforschung des technischen Denkens und der Objekte, die aus dieser Beschäftigung hervorgegangen sind, war er eine der großen Gestalten in Architektur und Design des 20. Jahrhunderts. Kein Geringerer als Le Corbusier lobt: "In Jean Prouvé vereinigen sich Architekt und Ingenieur, richtiger noch, Architekt und Baumeister, denn alles, was er anfasst und gestaltet, bekommt sofort eine elegante und plastische Form, mit glänzend verwirklichten Lösungen in Bezug auf Haltbarkeit und industrielle Fertigung".
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