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Montag, 1. August 2011

Lale Andersen singt "Lili Marleen"

Am 2. August 1939 steht Lale Andersen vor dem Studio-Mikrofon. Der Tag wird ein historisch bedeutender werden: Sie singt "Lili Marleen" in der Vertonung von Norbert Schultze. Es wird das Lied werden, das Freund und Feind im II. Weltkrieg, manchmal auch als Perislfage, auf ihren Sendern hören wollen.

Norbert Schultze. Lale Andersen hatte schon 1937 eine Platte in der Vertonung von Rudi Zink aufgenommen. Im Simpl singt Lale Andersen erstmals "Lili Marleen" mit noch chansonhafter Melodie, der Text von Hans Leip ist großteils schon im 1. Weltkrieg entstanden. Die bekannte Melodie, die stärker einen Marschrhythmus betont, wird erst im darauffolgenden Jahr 1939 von Norbert Schultze komponiert. Erst diese Vertonung von Norbert Schultze, damals unter dem Pseudonym "Frank Norbert" machte das Lied zum Erfolg. Dabei war es keine Eintagsfliege des Komponisten: Neben Liedern und Chansons, deren bekanntestes "Lili Marleen" (1939) ist, schrieb Norbert Schultze Opernwerke wie "Schwarzer Peter" (1936) und "Das kalte Herz" (1943), das Musical "Käpt'n Bay-Bay"(1950) mit dem Evergreen "Nimm' mich mit, Kapitän auf die Reise" sowie über 50 Filmmusiken, darunter "Symphonie eines Lebens"(1943) und "Das Mädchen Rosemarie"(1957).

Link ➨     Lale Andersen

Aus der Sicht des erfolgreichen Komponisten muss die kolportierte Geschichte so nicht unbedingt stimmen: Der Durchbruch von "Lili Marleen" erfolgte im Sommer 1941, als dem gerade etablierten deutschen "Besatzungssender Belgrad" die leichte Muse ausging und man vom Reichssender Wien ein paar wenige Schallplatten erhielt. Darunter befand sich der Titel "Lili Marleen", den am 18. August 1941 ein Techniker mehr aus Versehen als aus Absicht nach den Nachrichten aufgelegt haben soll ("Superfrauen 10 – Musik und Tanz" von Ernst Probst). Wegen des darin enthaltenen Zapfenstreichs bringt es der Soldatensender Belgrad dann aber allabendlich zum Programmschluss um 22 Uhr. Das verhilft dem Lied bei Freund und Feind zu immenser Popularität, die sich in vielen Übersetzungen und Nachdichtungen – oft mit anti-nazistischem Inhalt – zeigt.

Link ➨     Anhören:  Lale Andersen - Lili Marleen - 1939

Lili Marleen
Musik: Norbert Schultze
Text: Hans Leip
1939


            Vor der Kaserne,
            Vor dem großen Tor,
            Stand eine Laterne
            Und steht sie noch davor.
            So woll'n wir uns da wiederseh'n,
            Bei der Laterne woll'n wir steh'n,
            Wie einst, Lili Marleen.

            Unsere beiden Schatten
            Sah'n wie einer aus,
            Daß wir so lieb uns hatten,
            Das sah man gleich daraus.
            Und alle Leute soll'n es seh'n,
            Wenn wir bei der Laterne steh'n,
            Wie einst, Lili Marleen.

            Schon rief der Posten:
            Sie blasen Zapfenstreich,
            Es kann drei Tage kosten!
            Kamerad, ich komm' ja gleich.
            Da sagten wir Aufwiederseh'n.
            Wie gerne wollt' ich mit dir geh'n,
            Mit dir, Lili Marleen!

            Deine Schritte kennt sie,
            Deinen schönen Gang.
            Alle Abend brennt sie,
            Mich vergaß sie lang.
            Und sollte mir ein Leid gescheh'n,
            Wer wird bei der Laterne steh'n,
            Mit Dir, Lili Marleen?

            Aus dem stillen Raume,
            Aus der Erde Grund,
            Hebt mich wie im Traume
            Dein verliebter Mund.
            Wenn sich die späten Nebel dreh'n,
            Werd' ich bei der Laterne steh'n
            Wie einst, Lili Marleen.

Unheroisch - undeutsch. 1942 warf das Propagandaministerium Lale Andersen "undeutsche Kontakte" zu jüdischen Emigranten in der Schweiz vor (Zwischen 1933 und 1937 gehörte Lale Andersen zum Ensemble des Zürcher Schauspielhauses. In diese Zeit fallen auch ihre dramatischen Studien bei dem deutschen Schauspieler Ernst Ginsberg (1904–1964), der nach seiner Emigration von 1933 bis 1962 Mitglied des Zürcher Schauspielhauses war). Aus Furcht vor einer Verhaftung nahm sie angeblich eine Überdosis Schlaftabletten. Nach der deutschen Niederlage bei der Schlacht von Stalingrad wurde "Lili Marleen" aus dem Programm des Soldatensenders Belgrad genommen. Das unheroische Lied statt der üblichen Durchhalte- und Kriegspropaganda ist Josef Goebbels schon lange ein Dorn im Auge und bei der Nazi-Propaganda verpönt. Doch selbst der Nazi-Propagandachef schafft es nicht, "Lili Marleen" so einfach aus dem Programm zu verbannen. Das Propagandaministerium verhängt zwar gegen die Sängerin ein Auftrittsverbot. Sechs Monate später wird das Verschwinden von Lale Andersen und "Lili Marleen" von der BBC bemerkt: "Ist es Ihnen aufgefallen, dass Sie dieses Lied schon lange nicht gehört haben? Warum wohl? Vielleicht deshalb, weil Lale Andersen im Konzentrationslager ist?", fragt der Sender. Die Nachfrage von BBC hat Wirkung: Im Mai 1943 darf Lale Andersen wieder beschränkt auftreten, "Lili Marleen" jedoch nicht mehr singen.

Link ➨     Lili Marleen - Noten

Propaganda. Auch die Soldaten der Allierten singen mit wachsender Begeisterung das Lieblingslied des Kriegsgegners. Lili Marleen wird zur Waffe im Propagandakrieg, Übersetzungen und Umdichtungen entstehen. 1944 erscheinen in Großbritannien und den USA erste lizensierte englischsprachige Versionen. Amerikaner denken bei Lili Marleen an Marlene Dietrich, nicht an Lale Andersen. Ab Herbst 1943 singt der deutschstämmige US-Star das Lied in einer kämpferischen englischen Übersetzung. Auch die Briten haben ihre eigene Lili Marleen: Die junge Sängerin Anne Shelton (1928 - 1994). Als "Sweetheart" der Soldaten konkurriert sie erfolgreich mit der Deutschen Lale Andersen. Dazu kommen noch propagandistische Fassungen von "Lili Marlen" für die heimlichen BBC-Hörer in Deutschland.

Link ➨     Free mp3: Marlene Dietrich - Lili Marlene - live (0,7 MB) 

Die bekannteste Umdichtung ist die von Lucie Mannheim, die von BBC während des Krieges gesendet wurde. In ihrer "Anti-Hitler-Version" persiflierte sie auf Lale Andersens Text:

Link ➨     Antifaschistische Persiflage auf Lili Marleen des BBC: Lucy Mannheim         

Hans Leip. "Lili Marleen", das von einem jungen Wachtposten handelt, wurde 1915 während des Ersten Weltkrieges von dem jungen deutschen Schriftsteller und Grafiker Hans Leip (1893–1983) auf dem Weg zur Ostfront getextet. Er schrieb das "Lied eines jungen Wachtposten" für seine Freundin und die seines Kumpels, die "Lili" und "Marleen" hießen. Erst 1937 veröffentlicht er die Zeilen in seinem Gedichtband "Die kleine Hafenorgel".


Lale Andersen. Lale Andersen wird am 23. März 1905 unter dem Namen Lise-Lotte Helene Bunnenberg in Bremerhaven geboren. Schon als 19jährige heiratet sie in ihrer Heimatstadt den Maler Paul Ernst Wilke, mit dem sie drei Kinder hat. Sie lässt sich als Sängerin und Schauspielerin ausbilden. In Varietees und Theatern singt sie Chansons von Bertolt Brecht und Kurt Tucholsky, aber auch Hafen- und Seemannslieder. Bis 1938 tingelt sie mit langsam zunehmenden Erfolg durch Deutschland, Auftritte in der Schweiz kommen hinzu. München und das Künstlerlokal "Simpl" bilden am ehesten noch einen Lebensmittelpunkt. Auch der Künstlername Lale Andersen entsteht in dieser Zeit. Den Durchbruch unter dem Künstlernamen Lale Andersen schafft sie am berühmten Kabarett der Komiker. Nach dem Krieg muss sie vorerst wieder durch die Provinz tingeln. 1959 feiert sie ein glanzvolles Comeback mit einem Hit, mit dem sie in Deutschland sogar die Originalinterpretin Melina Mercouri übertrifft: "Ein Schiff wird kommen", die Titelmelodie aus dem Film "Sonntags nie". Doch es wird immer "Lili Marleen" sein, die für ihren unvergänglichen Ruhm sorgt. Das zeigt sich auch 1969 in einer Umfrage der Londoner "Times", bei der sie noch zu ihren Lebzeiten in die Liste der bekanntesten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts eingereiht wird. Am 29. August 1972 stirbt sie im Alter von 67 Jahren in einer Wiener Privatklinik an Herzversagen und wird, ihrem Wunsch entsprechend, auf der Nordseeinsel Langeoog beigesetzt.

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